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Im PS4Info-Interview – Experten sprechen über die Virtual Reality

Der Verkauf der PlayStation VR hat offiziell begonnen und ermöglicht es den PS-Spielern, in die Welt der Virtual Reality einzutauchen. Passend zum Launch haben wir mit zwei Experten über die gesamte Angelegenheit gesprochen und neue Erkenntnisse sammeln können.

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Im folgenden Interview haben wir insgesamt sechs Fragen über das Thema der Virtual Reality gestellt, die von Dr. David Riedl und Dr. Martin Fuchs äußerst umfangreich beantwortet wurden. Die beiden Herren sind unter anderem Forschungsmitarbeiter an der Medizinischen Universität Innsbruck und können aufgrund ihrer Tätigkeit ein vorhandenes Expertenwissen auf diesem Gebiet vorweisen. Ein äußerst spannendes Thema, das angesprochen wird, ist die Nutzung der Virtual Reality durch Kinder.

PlayStation VR ist seit dem 13. Oktober 2016 offiziell im Handel erhältlich und bringt die oft als Zukunft des Gaming bezeichnete Technologie auf die PlayStation 4. Umfangreiche Informationen diesbezüglich gibt es hier. Kommen wir nun aber zum eigentlichen Interview:

 

Die Virtual Reality-Headsets spielen dem Nutzer vor, sich stellenweise hektisch in einer virtuellen Welt zu bewegen, obwohl man eigentlich nur minimale Bewegungen ausführt. Welche Folgen kann dies mit sich bringen? Stichwort: Übelkeit!?

Bei virtueller Realität handelt es sich ja eigentlich um kein neues Phänomen, die ersten virtuellen Umgebungen wurden vor mehr als 30 Jahren getestet. Bereits in den frühen 90er Jahren wurde bereits auch der psychotherapeutische Nutzen von virtuellen Umgebungen untersucht bspw. bei Spinnen-/Schlangenphobien, Flug- oder Höhenangst. In der Regel wurden damals Bildschirme für die Darstellung verwendet, es gab allerdings auch früher Versuche mit Headsets (meist als Head-Mounted Displays bezeichnet). In dieser Phase kam es häufig zu Nebenwirkungen bei VR, wobei die häufigsten Beschwerden Übelkeit und Schwindel waren.

Im Zuge der rapiden technologischen Entwicklung hat im letzten Jahrzehnt geradezu eine Revolution in der Darstellung virtueller Umgebungen stattgefunden. Die Auftetenshäufigkeit und –wahrscheinlichkeit von sogenannten „adverse events“, also unerwünschter Nebenwirkungen, bei moderner Ausstattung wie PlayStation VR, Oculus Rift oder anderen vergleichbaren Technologien sind zur Zeit noch relativ wenig erforscht.

In einer kürzlich durchgeführten Studie zur Auftretenshäufigkeit von „Nebenwirkungen“ (bspw. Übelkeit, Schwindel, Kopfschmerzen, Engegefühl, Beklemmungen, etc.) in entspannenden virtuellen Umgebungen und potentiellen Einflussfaktoren, zeigte sich, dass weder das Geschlecht noch das Alter oder die Vorerfahrungen mit Spielkonsolen einen Einfluss auf die Auftretenswahrscheinlichkeit von adverse events hatte. Am häufigsten traten die Nebenwirkungen übrigens bei ProbandInnen auf, denen bspw. auch beim Zugfahren oder im Auto schlecht wird. Wir gehen also davon aus, dass potentiell Betroffene dies auch erahnen können.

 

Kann eine gehäufte Nutzung eine Epilepsie oder ähnliche Erkrankungen verstärken?

Es ist seit längerem bekannt, dass Computerspiele bei einer bestimmten Subgruppe der EpileptikerInnen Anfälle hervorrufen können („video game-induced seizures“ – VGS), wobei diese Vulnerabilität eher selten vorkommt. Erste diesbezügliche Fälle wurden Anfang der 1990’er Jahre im Zuge des kommerziellen Erfolgs von Videokonsolen für den Heimgebrauch berichtet. Meistens sind Betroffene aber einer Untergruppe von epilepsiekranken Menschen zuzuordnen, bei denen Stimulation durch Licht generell einen Anfall auslösen kann. Somit ist nicht das Spielen von Konsolen per se der auslösende Reiz, sondern ein intensives Lichtsignal, das z.B. durch ein abgedunkeltes Zimmer noch verstärkt ist. In letzter Zeit wurde auch von epileptischen Anfällen während des Spielens von „Massive Multiplayer Online Role-Playing Games (MMORPGs)“ berichtet, wobei Forscher hier neben der Lichtempfindlichkeit auch auslösende Faktoren wie Stress und Aufregung, gedankliche Anspannung sowie Übermüdung und Schlafmangel als Auslöser anführten.

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Es kann davon ausgegangen werden, dass bei einer bestehenden Vulnerabilität auch die Verwendung von VR-basierten Systemen Anfälle auslösen können. Die aktuelle Studienlage gibt jedoch zur Zeit keinen Hinweis darauf, dass die Verwendung von VR-basierten Technologien die Auftretenshäufigkeit oder –schwere von Epilepsie verstärken könnte. Es gibt sogar Studien, in denen virtuelle Umgebungen eingesetzt wurden um das visuell-räumliche Vorstellungsvermögen von PatientInnen mit Epilepsie zu überprüfen.

Es sei jedoch an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass bisher noch recht wenige Studien zu diesem Thema veröffentlicht sind und wir daher nicht von einer generellen Unbedenklichkeit ausgehen können. Junge Menschen mit einer bekannten epileptischen Erkrankung, deren Anfälle durch Lichtreize ausgelöst werden könnten, sollten die geplante Benutzung von VR-Systemen vorher mit ihren behandelnden Neurologen besprechen.

 

Das VR-Headset projiziert ein Bild unmittelbar vor den Augen des Konsumenten. Kann dies negative Auswirkungen haben?

Das Ziel der Head-Mounted Displays (HMD) ist es die Immersion, also dem Grad wie realistisch die virtuelle Umgebung wahrgenommen wird, gegenüber der Darstellung auf einem Bildschirm drastisch zu erhöhen. Das führt natürlich dazu, dass die Darstellungen von den KonsumentInnen viel unmittelbarer empfunden werden. Da dies in der Regel von den UserInnen gewünscht ist, gehen wir hierbei nicht generell von negativen Auswirkungen aus. Unseres Wissens gibt es in der medizinischen Fachliteratur keine Hinweise, dass der sachgerechte Gebrauch von VR-Headsets Schädigungen der Augen verursachen kann.

Siehe dazu auch Frage 6.

 

PlayStation VR besitzt unser Wissen nach keine Altersempfehlung, sondern lediglich die entsprechenden Videospiele. Ist die Nutzung für Kinder demnach völlig ungefährlich?

Die Verbreitung neuer Technologien führt fast schon reflexartig zu Skepsis bis hin zu manifesten Ängsten. Als sich im 18. Jahrhundert durch die Verbreitung des Buchdrucks das Lesen zu einem Massenphänomen entwickelte, kamen damals Begriffe wie „Romansucht“ und „Lese-Sucht“ auf, und es wurde befürchtet, Betroffene würden durch das Lesen „in eine Zauber- und Geisterwelt hineingeworfen, durch die sie Zeit, Gesundheit und Leben verspielen“. Ähnliche Phänomene wurden ab den 60’er Jahren des 20. Jahrhunderts während des Einzugs von Fernseh-Geräten in die Haushalte der westlichen Welt diskutiert. Die Entwicklung der Computer und des Internets würde laut zeitgenössischen SkeptikerInnen zu einer „Entmenschlichung“ führen und die Gesellschaft langsam aber sicher zerstören. Vor allem die Gesundheit der Kinder wird in diesen Argumentationsstrukturen häufig ins Rennen geführt. De facto ist es aber in der Regel so, dass nicht eine Technologie selbst, sondern vielmehr der Umgang damit (Stichwort „Medienkompetenz“) beeinflusst ob die Technologie funktional oder dysfunktional genutzt wird.

Dr. Martin Fuchs ist Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Bildquelle: Privat
Dr. Martin Fuchs ist Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Bildquelle: Privat

Wir gehen des Weiteren davon aus, dass aufgrund der zahlreichen kommerziellen Angebote, wie bspw. Playstation VR, die Verbreitung von VR stark zunehmen wird. Eine “Medienabstinenz” scheint daher schwer möglich, Nutzungs-„Verbote“ von VR für Kinder und Jugendliche werden höchstwahrscheinlich nur begrenzt durchsetzbar sein.

Es bleibt vielleicht an dieser Stelle auch zu erwähnen, dass VR für Kinder und Jugendliche auch sehr produktive Formen haben kann: VR wird bereits in zahlreichen Kinder- und jugendtherapeutischen Settings (bspw. Schlaganfall-Rehabilitation, Onkologie, Psychotherapie) erprobt bzw. eingesetzt.

Präventive medienpädagogische Maßnahmen müssten diese Tatsachen berücksichtigen: ein Heranwachsen von Medienkompetenz ist bei jungen Menschen nur in Form von freiwilligen Vereinbarungen bei gleichzeitig “laufendem Konsum” möglich. Kinder werden nicht mit Medienkompetenz geboren, sondern müssen diese erwerben. Und das ist vor allem die Aufgabe der Erwachsenen in ihrer direkten Umgebung und in zunehmendem Maß Aufgabe von Schule und Pädagogik.

Als Fazit kann daher gesagt werden: wir gehen nicht von einer grundlegenden Gefährlichkeit von VR für Kinder aus. Es ist allerdings sehr wichtig ihnen – wie bei jeder anderen Technologie auch – einen gesunden und produktiven Umgang beizubringen.

 

Stundenlanges Zocken ist für manche Spieler normal. Würden Sie ein derartiges Verhalten auch für die Virtual Reality als halbwegs ungefährlich einstufen? Oder sollte man die ununterbrochene Nutzung auf beispielsweise eine halbe Stunde begrenzen?

Wir konnten in einer kürzlich publizierten Studie zum Mediengebrauch von SchülerInnen zeigen, dass die reine Zeit, welche SchülerInnen beim Computerspielen verbringen nicht ausreicht um von einer Suchtproblematik zu sprechen. So ist stundenlanges Zocken für manche Personen vielleicht relativ unbedenklich, wogegen es bei anderen Menschen ein Symptom einer schweren zugrundeliegenden psychischen Erkrankung darstellt. Studien zeigen, dass Jugendliche, die zu einem bestimmten Zeitpunkt einen schädlichen oder suchtartigen Mediengebrauch zeigen, nur zu einem sehr geringen Prozentsatz dieses Verhalten in Folgeuntersuchungen 1-2 Jahre später auch aufweisen. Daraus kann man schlussfolgern, dass das suchtartige „Reinkippen“ in Games sicherlich ein Problem für manche Jugendliche sein kann, aber die allermeisten Jugendlichen nach einer gewissen Zeit wieder damit aufhören.

Viel wichtiger als die bloße Dauer erscheint es daher, sich Gedanken zur Funktion des Spielens zu machen: stellen Computerspiele eine Flucht aus der Realität oder lediglich ein ambitioniert verfolgtes Hobby dar?

Wir halten es nur für begrenzt sinnvoll, generelle zeitliche Regeln für die Verwendung von VR-Anwendungen aufzustellen. Viel sinnvoller erscheint, die Selbstwahrnehmung und den kompetente Umgang mit modernen Medien zu schulen.

 

Die neue Technologie kann bestimmte Situationen noch realistischer wirken lassen. Kann dieser Sachverhalt negative Folgen mit sich bringen?

Grundsätzlich kann auch hierbei davon ausgegangen werden, dass der höhere Grad an wahrgenommenem Realismus im Sinne der EntwicklerInnen und UserInnen liegt und daher per se nichts Negatives darstellt. Es gibt dabei allerdings auch immer Schattenseiten, die berücksichtigt werden müssen: so besteht bei einer realistischeren Darstellung bspw. für Personen mit bestehender posttraumatischer Belastungsstörung (bspw. SoldatInnen, Unfallopfer) eine erhöhte Wahrscheinlichkeit einer Retraumatisierung, wenn sie mit potentiell traumatischen Inhalten konfrontiert werden (bspw. Kampfspiele, Unfälle in Spielen, etc.). Auch für PatientInnen, die unter Angststörungen leiden könnte die Konfrontation mit bestimmten Reizen psychische Belastungszustände triggern.

Dr. David Riedl ist klinischer Psychologe. Bildquelle: Privat
Dr. David Riedl ist klinischer Psychologe. Bildquelle: Privat

Es ist denkbar, dass VR-basierte Spiele einen besonderen „Sog“ ausüben, und daher ein verantwortungsbewusster Umgang damit umso wichtiger ist, um einer möglichen Suchtentwicklung vorzubeugen. Aufgrund der erst bevorstehenden kommerziellen Nutzung von VR durch breite Bevölkerungsteile gibt es hierzu derzeit allerdings keine medizinischen oder psychologischen Studien.

Wie bei allen neuen Technologien erscheint es uns sinnvoll, nicht mit Verboten oder Regeln zu wirken, sondern vielmehr von Anfang an auf eine gezielte Risiko-Kommunikation und Aufklärung zu setzen, um die UserInnen darin zu unterstützen, einen möglichst informierten und medienkompetenten Umgang mit der Technologie zu haben.

Die Verbreitung und Nutzung von Internet, Smartphones und Games wurde bei Kindern und Jugendlichen wissenschaftlich untersucht, wodurch heute ein gewisser Wissenstand zu verantwortungsvollem aber auch schädlichem Gebrauch zur Verfügung steht. Ein Fazit dieser Forschung ist, dass nur ein relativ kleiner Prozentsatz von jungen Menschen vorrübergehend schädliche Nutzungsmuster entwickelt, junge Menschen und vor allem Kinder aber eine kompetente Mediennutzung erst erlernen müssen, und dafür Unterstützung durch Eltern oder Schule benötigen. Jugendlichen mit psychischen Schwierigkeiten oder problematischen Lebensbedingungen kann das Erwerben von Medienkompetenz besonders schwer fallen, professionelle Hilfe ist dann umso wichtiger.

Die erst im Entstehen begriffene Forschung zum Gebrauch von VR bei Kindern und Jugendlichen wird unserer Überzeugung nach ähnliche Befunde liefern.

 

An dieser Stelle möchten wir uns sowohl bei Dr. Martin Fuchs als auch bei Dr. David Riedl recht herzlich für die Beantwortung der Fragen bedanken! Abschließend noch ein paar Details über die beiden.

 

Dr. David Riedl ist klinischer Psychologe und Forschungsmitarbeiter an der Univ.-Klinik für Medizinische Psychologie und am Department für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik der Medizinischen Universität Innsbruck. Seine Forschungsschwerpunkte sind unter anderem der Einsatz moderner Technologien in der Psychologie.

Dr. Martin Fuchs ist Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie Forschungsmitarbeiter an der Univ.-Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Medizinischen Universität Innsbruck. Wissenschaftliche Schwerpunkte sind unter anderem mögliche Zusammenhänge zwischen schädlichem Mediengebrauch und psychischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen.

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